Welche Trassen einer Neubaustrecke Hannover-Bielefeld lassen eine Fahrzeit von 31 Minuten zu? Im letzten Beitrag konnte ich aufzeigen, dass eine für eine Zielfahrzeit von 31 Minuten geplante NBS maximal ca. 104 km lang sein darf. Dabei sind folgende Annahmen getroffen worden:
- Als Fahrzeug ein vollbesetzter ICE3 in Einzeltraktion mit 90% Antriebsleistung.
- Beschleunigungsweg entspricht dem Bremsweg (verschleißfreies Bremsen).
- Eine Fahrzeitreserve von 14% (ca. 3,8 min).
Vorgehen
Anhand der Grobkorridorkarte, die vom Planungsteam Hannover-Bielefeld veröffentlicht wurde, werden Trassen geometrisch entwickelt (d.h. Kurvenradius beträgt 4250 m) und auf das Fahrzeitbudget hin untersucht. Insgesamt wurden 14 Trassenvarianten erstellt, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu haben. Es soll lediglich untersucht werden, ob die Zielfahrzeit erreicht werden kann. Die einzelnen Varianten sind im Mittelteil identisch, die Unterscheidung erfolgt im Westen bzw. im Osten durch die jeweiligen Anschlusspunkte an die Bestandsstrecken.
In den Abbildungen werden die Trassen gemäß den Fahrzeiten eingefärbt: von grün (31 Minuten) über gelb (bis 33 Minuten), orange (bis 35 Minuten) bis rot (mehr als 35 Minuten).
Die gelben Trassen sind insofern von Bedeutung, als dass sie bei einer Halbierung der Fahrzeitreserve die Zielfahrzeit von 31 Minuten erreichen.
Abzweig Herford & Dedensen-Gümmer

Die Kurvenradien der jeweiligen Abzweige von Herford und Dedensen-Gümmer können mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h befahren werden. Die Breite des Grobkorridors im Bereich nördlich von Herford ließe einen solchen Radius zu.
- Im Bereich der Bestandsstrecke wird unterstellt, dass der Abschnitt nördlich von Brake bis zum Abzweig nördlich von Herford auf eine Höchstgeschwindigkeit bis 200 km/h hergerichtet werden kann.
- Der Abschnitt Dedensen-Gümmer bis zum S‑Bahn-Haltepunkt Hannover-Letter lässt bereits heute eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h zu.
In diesem Abschnitt gibt es gemäß der verwendeten Rechnung keine Trasse, die die Zielvorgabe von 31 Minuten erfüllt. Die kürzeste Fahrzeit beträgt 32,9 Minuten. Ursächlich dafür ist der Anteil der Streckenabschnitte, die nicht mit einer Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h befahren werden können. Die gelben Strecken sind ca. 100 km lang, die orangen bis 110 km und die roten über 110 km lang.
Abzweig Brake & Lohnde

- Im westlichen Abschnitt, von Bielefeld bis zum Abzweig nördlich des Haltepunkts Brake, kann eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h erreicht werden, ebenfalls der Abzweig einer Neubaustrecke. Erst mit dem Beginn der Neubaustrecke kann auf 300 km/h beschleunigt werden.
- Im östlichen Abschnitt ist ein Abzweig im Bereich von Lohnde (heutiger Seelze Personenbahnhof) der Neubaustrecke für eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h unterstellt.
Auch in diesem Abschnitt gibt es keine Trassen, die der Vorgabe von 31 Minuten gerecht werden. Im Vergleich zu der Abzweigkombination Herford&Dedensen-Gümmer fällt jedoch auf, dass es deutlich mehr gelbe Strecken gibt, d.h. mit einer Fahrzeit bis 33 Minuten, als zuvor: ihr Anteil wächst von drei auf neun von 14 Trassenvarianten. Die kürzeste Fahrzeit beträgt 31,9 Minuten.
Abzweig Schildesche & Seelze (Bf. Letter)

- Abzweig im Westen beginnt nördlich von Bielefeld im Stadtteil Schildesche und verläuft durch das Johannesbachtal. Dieser Bereich lässt ein unverzüglich beschleunigen auf die Spitzengeschwindigkeit zu.
- Im Osten erfolgt der Abzweig in Höhe des heutigen S‑Bahn-Bahnhofs Hannover-Letter (östliches Seelze).
In der Variante mit den Abzweigen Schildesche und Seelze (Bf. Letter) können elf von 14 Trassenvarianten die Zielfahrzeit erreichen, die schnellste erreicht 29,8 Minuten, also inklusive einer 14%igen Fahrzeitreserve.
Mixvarianten
In der bisherigen Betrachtung habe ich die Abzweige nicht vermischt, d.h. es wurde beispielsweise nicht der Abzweig Herford im Westen und dem Abzweig Seelze (Bf. Letter) unterstellt.
- Kombination Herford&Dedensen-Gümmer: Mit Herford als Abzweig gibt es keinen Abzweigmix, der eine Fahrzeitverkürzung von 2 Minuten oder mehr möglich macht. Umgekehrt, d.h. mit einem Abzweig Schildesche+Dedensen-Gümmer können 2,5 Minuten gespart werden, es würde dann fast fünf Varianten geben, die die Zielfahrzeit erreichen.
- Kombination Brake&Lohnde. Es ergeben sich folgendes Bild:
- Abzweigmix Brake+Seelze (Bf Letter): die Fahrzeit verkürzt sich um ca. 0,7 Minuten,
- Abzweigmix Schildesche+Lohnde: die Fahrzeit verkürzt sich um ca. 1,2 Minuten,
gegenüber der Kombination Brake&Lohnde. Mit der größten Zeitersparnis von 1,2 Minuten ließen sich insgesamt fünf der gelben Varianten aus der Abzweigkombination Brake&Lohnde in der Zielfahrzeit bewältigen. Hingegen sind 0,7 Minuten an Verkürzung zu gering.
Diskussion
Wie in einer jeden wissenschaftlichen Abhandlung muss die Frage nach der Güte der Methodik gestellt werden. Wie im letzten Beitrag dargestellt, gibt es natürlich einige Stellschrauben: Sind die gewählten Reserven evt. zu groß, könnte ein ICE3 schneller beschleunigen bzw. sogar bremsen, lässt sich die Abfertigung eines Zuges schneller gestalten? Die Konsequenz daraus sei anhand eines Beispiels aufgezeigt: Würde die angesetzte Fahrzeitreserve von 3,8 Minuten auf ca. 1,9 Minuten halbiert, so würden die neun gelben Varianten aus der Abzweigkombination Brake&Lohnde doch die Zielfahrzeit erreichen.
Auf der anderen Seite ist die Zuverlässigkeit für einen Taktfahrplan und die Erreichung der Anschlüsse nicht unbedeutend: die Fahrzeiten müssen zu allen Tages- und auch Jahreszeiten erzielbar sein. Eine größere Fahrzeitreserve zu Gunsten der Zuverlässigkeit zieht höhere Kosten nach sich.
Fazit
Prinzipiell erscheint eine Fahrzeit von 31 Minuten inklusive Fahrzeitreserve zwischen Hannover und Bielefeld machbar. An dieser Stelle drängt sich mir die Frage auf, ob es in Deutschland bereits Strecken vergleichbarer Charakteristik gibt, die dieser Fahrzeit durchfahren werden, oder in der EU oder weltweit? Stoff für einen weiteren Beitrag…