Im Rahmen des Deutschlandtaktes ist der Streckenaus- bzw. ‑neubau von Hannover über Bielefeld nach Hamm für bis 300 km/h geplant. Zentral ist, dass die Fahrzeit von heute 77 Minuten auf zukünftig 54 Minuten zwischen Hannover Hbf und Hamm (Westf.) Hbf reduziert wird. Wie das aussehen kann erklären Dokumente des Ingenieurbüros Schüßler-Plan.
Während für den Abschnitt Hannover-Bielefeld der Planungsauftrag ergangen ist, fehlt der Abschnitt Bielefeld-Hamm. Für beide Abschnitte hat das Ingenieurbüro Schüßler-Plan Infrastrukturvorplanungen erstellt, auf deren Basis der Zielfahrplan des Deutschlandtakts erarbeitet wurde.
Im Abschnitt Hannover-Bielefeld sollen sich laut Planungsauftrag der DB Netz AG eine NBS Hannover-Bielefeld an den Vorplanungen der Variante Nr. 5 des Ingenieurbüros Schüßler-Plans orientieren. Diese Vorplanungen können auf der Webseite des Projekts Hannover-Bielefeld eingesehen werden.
Schüßler-Plan: Infrastruktur für 300 km/h
Ebenso existieren Vorplanungen des Ingenieurbüros Schüßler-Plan für den Abschnitt Bielefeld-Hamm, auf dem eine Fahrzeitreduzierung von heute 26 Minuten bei Tempo 200 km/h auf 21 Minuten bei Tempo 300 km/h vorgesehen wird. Dank Anfrage über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG, siehe https://fragdenstaat.de/a/251441) konnte eine Offenlegung erreicht werden. Anders als im Abschnitt Hannover-Bielefeld ist für Bielefeld-Hamm keine zusätzliche Strecke geplant – die bisherige ist bereits die kürzeste Verbindung – sondern der Ausbau der bestehenden viergleisigen Strecke. Der s.g. Ausbau sieht folgende Punkte vor:
- Zwischen Bielefeld-Brackwede und Hamm-Heessen soll die heutige Personenbahn von 200 km/h auf 300 km/h ertüchtigt werden; erforderlich sind auf ca. 58 km Länge eine s.g. Feste Fahrbahn (FF).
- Erhöhung der Gleis- und Gefahrenabstände: Ein Gleispaar, auf dem mehr als 200 km/h gefahren wird, muss untereinander einen Abstand von 4,5 m (Gleismitte zu Gleismitte) haben — heute sind es 4,00 m (siehe Abbildung 2 oben).
- Zwei zweigleisige Bahnstrecken müssen untereinander einen größeren Mindestabstand besitzen: Statt 4,00 m heute wären 6,80 m (Gleismitte zu Gleismitte) anzusetzen. Viergleisige Bahnstrecken gibt es auf freier Strecke nicht, diese setzen sich immer aus zwei zweigleisigen Strecken zusammen.
- Da bei einer Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h kein Bahnsteig an den Streckengleisen zulässig ist, müssen diese abgerissen werden. Sollen trotzdem in dem jeweiligen Bahnhof Bahnsteige vorhanden sein, so muss ein Abzweigleis errichtet werden, an dem ein Bahnsteig gebaut werden kann. Diese Situation muss für Gütersloh Hbf umgesetzt werden, schließlich sollen hier auch im Deutschlandtakt Fernverkehrszüge halten.
- Laut Schüßler-Plan sind alle Eisenbahn- und Straßenüberführungen sowie Kreuzungsbauwerke neu zu errichten.
- Neubau aller Bahnsteige an der heutigen Güterzugbahn.
- Neubau der Oberleitungsanlage auf gesamter Länge: Die heutige Oberleitung überspannt abschnittweise alle vier Gleise. Laut Schüßler-Plan sind zwei unterschiedliche Bauarten zu verbauen, die s.g. RE100/200 mit Längsspannweiten von 80 m und die RE250/300 mit Längsspannweiten von 65 m.
- Die Planungen sehen einen zusätzlichen Flächenbedarf von rund 300.000 qm vor, was auf 58 km bezogen einen Streifen mit der Breite von rund 5 m bedeuten würde.
Linien- oder Richtungsbetrieb?
Interessant wird sein, welche Betriebsart die DB Netz AG bei ihren Planungen anlegt:
- Linienbetrieb: In diesem Falle bliebe die Aufteilung wie heute, d.h. Personen- und Güterbahn nebeneinander. Wie oben erläutert wären aber vergrößerte Gleis- und Gefahrenabstände erforderlich (siehe Abbildung 2 mitte).
- Richtungsbetrieb: Die Gleise würden so sortiert, dass jeweils ein Gleispaar in eine Richtung benutzt wird, dabei jedoch mit unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeiten (mittlere Gleise für HGV). Dieses ist diejenige Betriebsweise, die DB Netz AG auch für die Untersuchung zum Ausbau der Bestandsstrecke Hannover-Bielefeld angenommen hat. Nachteil im Vergleich zum Linienbetrieb ist der erhöhte Platzbedarf, da in diesem Falle technisch gesehen drei Bahnstrecken nebeneinander verlaufen (siehe Abbildung 2 unten).
Der Ausbau der Bahnstrecke Bielefeld-Hamm ist für eine Kantenfahrzeit von 54 Minuten zwischen den Taktknoten Hannover und Hamm zwingend erforderlich, sonst können nicht alle Anschlüsse gewährleistet werden. Schon eine Verlängerung der Fahrzeit um 2 Minuten würde zu Konflikten im Abschnitt Hannover-Lehrte führen und die schnelle Verbindung Münster-Magdeburg gefährden.
Aus-/Ab-/Neu-/Umbau?
Insgesamt führt die Vorplanung wesentliche Argumente der Diskussionen im Rahmen der Ausbaudiskussionen zur Bahnstrecke Hannover-Bielefeld ad Absurdum:
- Ein Ausbau einer Bestandstrecke erfordere neue Schneisen in den Anrainerkommunen mit Häuserabrissen und sei deswegen abzulehnen* — zwischen Bielefeld und Hamm ist dieser gar unausweichlich!
- Ein Ausbau im Bestand sei in der Regel teurer und dauert länger als eine Neubaustrecke. Wenn dieses Argument für Hannover-Bielefeld gilt, dann gilt es natürlich auch für Bielefeld-Hamm.
- Ein Ausbau einer Bestandstrecke macht Sperrungen während der Bauzeit erforderlich. Aber auch das träfe auf Bielefeld-Hamm zu, denn selbst für die heutige Güterbahn würden Brücken- und Oberleitungsneubau Sperrzeiten erfordern.
- Ein streckenferner Neubau führt zur mehr Resilienz im Schienennetz. Zwischen Bielefeld und Hamm werden zwar Bahnsteige an der Güterbahn gebaut, es bleibt aber die Frage, ob gleichzeitig an der heutigen Personenbahn ebenfalls neue Bahnsteige errichtet werden, schließlich muss der Platz dafür vorhanden sein. Laut der vorliegenden Dokumenten findet lediglich eine Verschiebung des Verkehrs statt. Sollte es zu einem Problem auf der zukünftigen Nahverkehrsbahn kommen, können die Züge weiterhin nicht ausweichen. Ob Bahnsteige an der Hochgeschwindigkeitsstrecke gebaut werden können hängt vom Platz innerhalb der Kommunen ab.
*) Es muss natürlich angemerkt werden, dass die Planung eines Bestandsausbaus zwischen Hannover und Bielefeld von Seiten der DB Netz AG stets unter Maßgabe einer Zielfahrzeit von 31 Minuten erfolgt!
Im Weiteren schafft der Ausbau der Bahnstrecke Bielefeld-Hamm keinerlei zusätzliche Kapazitäten, im Gegenteil: die Geschwindigkeitserhöhung reduziert insgesamt die Anzahl der Fahrmöglichkeiten für alle Züge.
Anbindung WLE
Aus den Unterlagen geht nicht hervor, wie die Infrastruktur der Westfälische Landeseisenbahn (WLE) in Neubeckum an die DB-Strecken angebunden werden sollen. Die Strecken nach Münster und Ennigerloh schließen an die Personenzugstrecke an, die Strecke nach Warstein an die Güterzugstrecke. Züge von Ennigerloh nach Warstein müssen heute durch den gesamten Bahnhof fahren.
Auf den bisher ausschließlich im Güterverkehr genutzten Strecken nach Münster (Westf.), Ennigerloh und Warstein soll laut dem Zielnetz 2040 NRW auch wieder Personenverkehr abgewickelt werden.
Fazit
Die Veröffentlichung der Vorplanungen von Schüßler-Plan zeigt, dass letztlich nur eine gemeinsame Planung des Ausbaus Hannover-Hamm sinnstiftend ist! Sollte der Ausbau des Abschnitts Bielefeld-Hamm nicht möglich sein, so ergibt eine Neubaustrecke Hannover-Bielefeld keinen Sinn, schließlich sprengt die verlängerte Fahrzeit von 5 Minuten die Taktknoten und bedingt damit eine Neuplanung des Deutschlandtakts.
Weitere Quellen:
[1] https://www.westfalen-blatt.de/owl/kreis-minden-luebbecke/ice-trasse-experte-fordert-planung-von-hamm-nach-hannover-2636304?pid=true&npg [2] https://www.szlz.de/aus-der-region-szlz_artikel,-iceneubaustrecke-auch-zwischen-bielefeld-und-hamm-noetig-_arid,2770926.html