Im Rahmen des Planungsdialogs zur Ausbau- bzw. Neubaustrecke Hannover-Bielefeld wurde am 9. November 2021 (3. Plenum) als erstes Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung eine Karte mit s.g. Grobkorridoren veröffentlicht. Diese Grobkorridore dienen DB Netz AG zur weiteren Trassenplanung.
Ein wesentliches Kriterium der Planungsprämissen (siehe hier unter der Überschrift “Planungsziele”) ist die deutschlandtaktkonforme Zielfahrzeit von 31 Minuten zwischen Hannover und Bielefeld. Daraus ergibt sich folgende Frage: existieren grobkorridorkonforme Trassenvarianten, die eine Fahrzeit von 31 Minuten ermöglichen?
Bevor aber diese Frage beantwortet wird, muss der Fahrzeitbegriff seziert werden: Jede in einem Fahrplan angegebene Fahrzeit besitzt eine Reserve, einen s.g. Fahrzeitzuschlag, der Verspätungen abfangen soll, die sich aus den verschiedensten Gründen ergeben können — also ein Faktor für die Zuverlässigkeit des Fahrplans. Wenn die Schieneninfrastruktur im Rahmen des Deutschlandtaktes nach einer Fahrzeitvorgabe gebaut werden soll, so müssen wir uns im Vorfeld dazu Gedanken machen — denn die Fahrzeit ist nach Abschluss der Baumaßnahmen, im wahrsten Sinne, in Beton gegossen.
Dies soll der Ausgangspunkt für die folgende Betrachtung sein: Wie lang darf die Neubaustrecke überhaupt werden, wenn eine Fahrzeit inklusive Zugschlag von 31 Minuten angesetzt wird? Bildlich gesprochen: Wie weit komme ich mit meinem Sprit im Tank ab?
Vorüberlegung
Die Idee hinter dieser Abhandlung ist ein (Fahr-)Zeitbudget aufzustellen: Es werden alle vorgegebenen unveränderbaren Fahrzeiten (also z.B. Tempolimits bei Einfahrten in die Hauptbahnhöfe) aufsummiert und von den 31 Minuten abgezogen. Das verbleibende Zeitbudget gibt Auskunft darüber, wie lang die Strecke sein darf (aus dem s.g. Weg-Zeit-Gesetz der Physik: Strecke entspricht Geschwindigkeit multipliziert mit der Fahrzeit).
Das Fahrzeitbudget setzt sich zusammen aus drei Budgets:
- Das Beschleunigungsundbremsbudget, kurz BuB-Budget. Hier sind die Dauer des Beschleunigens und des Bremsens enthalten.
- Das Höchstgeschwindigkeitsbudget, kurz HG-Budget, in das die Fahrt mit Höchstgeschwindigkeit (295 km/h) verbucht wird.
- Das Fahrzeitzuschlagsbudget, kurz Z‑Budget; in dieses Budget wird zusätzliche Zeit verbucht, um Unwägbarkeiten des Alltags abzufedern, z.B. Türstörung, längere Einstiegszeiten, usw.
Alles addiert ergibt dann das Fahrzeitbudget.
Warum wird hier 295 km/h genommen? Anders als vielleicht im Straßenverkehr gehandhabt, ist das Tempolimit von 300 km/h absolut, es darf nicht überschritten werden. Deswegen bleibt für die Rechnung 295 km/h.
Das Fahrzeitbudget (allgemein ohne Bremsen)
Ganz allgemein würde ein Hochgeschwindigkeitszug, der genau 31 Minuten mit durchgehend genau 295 km/h fahren kann, eine Strecke von 152 km zurücklegen. Auf die Budgets umgelegt:
- BuB-Budget: 0 min, da der Zug durchgehend mit seiner Höchstgeschwindigkeit fährt.
- HG-Budget: wäre also 31 min.
- Z‑Budget: 0 min.
Diese Bilanzierung ist in Abbildung 1 dargestellt.
Das Fahrzeitbudget (allgemein mit Bremsen)
Nun wird es komplizierter: An den Endpunkten der Strecke soll jeweils gehalten werden, dafür brauchen wir ein Beschleunigungsundbremsbudget. Unser ICE kann in etwa so schnell beschleunigen wie bremsen, also sind die Wege und Zeiten identisch (für den Physiker ist Bremsen einfach negatives Beschleunigen). In meiner Rechnung (Details, Hintergrundinformation) ergibt sich für den Beschleunigungsvorgang (auf 295 km/h) fast 7 Minuten (und eine Strecke von fast 25 km). Die Bilanz lautet wie folgt:
- BuB-Budget: 14,0 min, die sich aufteilen auf 7,0 min für’s Beschleunigen und 7,0 min für’s Bremsen. In den 7,0 min werden jeweils 25 km zurückgelegt, in Summe benötigt das BuB-Budget 50 km.
- HG-Budget: Es verbleiben damit 17,0 min. In dieser Zeit kann eine Strecke von 83,6 km zurückgelegt werden.
- Z‑Budget: 0 min.
Bilanz: BuB-Budget plus HG-Budget ergeben zusammen 31 min. Addieren wir die Strecken, so kommen wir auf 133,6 km. Anders formuliert: Aus 31 Minuten Fahrzeit ergibt sich eine Reichweite von 133,6 km — siehe Abbildung 2.
Im Vergleich zur durchgehenden Fahrt ohne Beschleunigung und Bremsen lassen sich 152 km in 31 Minuten überwinden, als ca. 18 km mehr.
Das Fahrzeitbudget (mit Bremsen und Zuschlag)
Eine Sache fehlt noch: Das Zuschlagsbudget. Die Vorgabe von 31 Minuten wird die im Fahrplan verwendete Zeit darstellen — diese sollte aber bereits einen Fahrzeitzuschlag beinhalten. Also:
1. BuB-Budget: Wie zuvor 14 min und eine Strecke von 50 km.
2. HG-Budget: Es verbleiben von den oben genannten 17 min (minus 3,8 min) noch 13,2 min. In dieser Zeit können 64,9 km zurückgelegt werden.
3. Z‑Budget: Unter der Annahme eines ca. 14% Zuschlags zur reinen Fahrzeit ergibt sich eine reale Fahrzeit von 27,2 min. Mit dem Z‑Budget wäre die Bilanzierung vollständig: 27,2 min + 3,8 min = 31 min.
Bilanz: Unter Berücksichtigung eines Fahrzeitzuschlags können 114,9 km in 31 min zurückgelegt werden. Die Berücksichtigung eines Fahrzeitzuschlags, einer Reserve, bedeutet eine ca. 18,7 km kürzere Strecke im Vergleich ohne Rerserve! Siehe Abbildung 3.
Länge einer NBS Hannover-Bielefeld
Mit diesem Hintergrundwissen möchte ich den Blick auf eine NBS Hannover-Bielefeld werfen. Zentral wird also die Frage sein, welchen Einfluss die Einmündungsbereiche der NBS in die Bestandsstrecke auf das BuB-Budget haben. Diese Bereiche verlängern bzw. vergrößern das BuB-Budget, z.T. sogar ganz erheblich. Da das Gesamtbudget vorgegeben ist, kann es nur auf Kosten der anderen beteiligten Budgets gehen … .
Für die Landeshauptstadt von Niedersachsen, also im östlichen Abschnitt, hat das Planungsteam bereits solche möglichen Einmündungen identifiziert:
- Seelze. Die Ausfädelung liegt westlich der S‑Bahn-Station Hannover-Letter und östlich des Seelzer Rangierbahnhofs.
- Lohnde, westlich der Brücke über den Mittellandkanal.
- Gümmer. Westlich der Querung von der BAB A2 mit der Bahnstrecke Wunstorf-Hannover (und westlich der S‑Bahn-Station Dedensen-Gümmer.
Im westlichen Bereich gibt es laut Grobkorridorkarte drei Bereiche, in denen eine Hochgeschwindigkeitsstrecke einmünden kann:
- Nördlich von Herford,
- Nördlich von Brake,
- Bereich zwischen Bielefeld bis Brake (Schildesche).
Mit diesen Einmündungen bzw. Abzweigen lässt sich das erste NBS Hannover-Bielefeld spezifische Fahrzeitbudget errechnen. Die Ergebnisse stehen in der folgenden Tabelle.
Ergebnis
Die Tabelle enthält die Ergebnisse der Fahrzeitbudget-Rechnung. Aufgeführt sind das BuB-Budget (in Minuten und in Kilometern), das HG-Budget (in Minuten und Kilometern) und das Z‑Budget (in Minuten). Die am weitesten von den jeweiligen Hauptbahnhöfen entfernten Abzweige benötigen das größte Beschleunigungsundbremsbudget und folglich ist das Höchstgeschwindigkeitsbudget am kleinsten — letztlich ist diese Strecke mit 90,3 km sogar kürzer als die direkte Luftlinie zwischen den beiden Hauptbahnhöfen von ca. 91 km und fällt als Kombination somit raus. Im Vergleich zur Luftlinie+, also der real umsetzbar kürzesten Verbindung von ca. 95,6 km, fällt auch die Kombination mit den jeweils zweitweitesten Aus- und Einmündungsbereichen (Brake und Lohnde) raus. Zum Vergleich: Die heutige Streckenlänge zwischen Hannover Hbf und Bielefeld Hbf beträgt 109,7 km.
Die Tabelle zeigt von drei Abzweige-Kombinationen die jeweilig berechnete Maximallänge der NBS Hannover-Bielefeld.
West-Ost | BuB-Budget | HG-Budget | Z‑Budget | Fahrzeitbudget | Maximallänge NBS H‑Bi |
---|---|---|---|---|---|
Herford-Gümmer | 24,8 min — 78,5 km | 2,4 min — 11,8 km | 3,8 min | 31 min | 90,3 km |
Brake-Lohnde | 22,0 min — 69,1 km | 5,2 min — 25,8 km | 3,8 min | 31 min | 94,9 km |
Schildesche-Seelze | 17,7 min — 56,5 km | 9,5 min — 47,7 km | 3,8 min | 31 min | 104,2 km |
Diskussion
Das Ergebnis dieser Rechnung beruht auf der Fahrzeitvorgabe von 31 Minuten und eines Fahrzeitzuschlags von 14%. Natürlich ist die Vorgabe des Zuschlags variierbar, da sie Unwägbarkeiten des Alltags abfedern sollen. Werden diese Werte auf jeweils 0% gesetzt, so folgt daraus eine maximale Länge einer NBS von immerhin ca. 123 km (anstatt 104,2 km).
Wenn in Zukunft der Fahrplan die Infrastruktur bestimmt, so bestimmt dieser auch den Fahrzeitzuschlag — wie viel Fahrzeitreserve sind wir uns also bereit zu gönnen? Denn sollte diese zu gering gewählt sein, würden in der Folge die Knoten des Deutschlandtaktes zerstört werden.
Fazit
Der Sprit im Tank reicht also für maximal ca. 104 km — um im Bild von oben zu bleiben. Der Fahrzeitzuschlag stellt einen bedeutenden Aspekt im Deutschlandtakt dar und muss rechtzeitig festgelegt werden.
Um die Ergebnisse des nächsten Artikels vorwegzunehmen: Es gibt zahlreiche denkbare Varianten, die unter der Vorgabe von 104 km Gesamtlänge bleiben, u.a. eben die s.g. Schüssler-Plan-Variante Nr. 5. Zu beachten ist aber, dass diese 104 km Gesamtlänge für die Ausfädelungen Schildesche und Seelze gelten — die Betrachtung der übrigen Abzweige-Kombinationen macht die Sache spannend … .